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Digitale Debatte statt Podiumsdiskussion

Die geplante Podiumsdiskussion "Vergangenheit und Zukunft einer kaum erforschten Denkmalgruppe" in der St. Jacobi-Kirche musste aufgrund der aktuellen Infektionsgefahr leider ausfallen. Stattdessen wird die Debatte digital geführt.

 

Leserinnen und Leser sind aufgefordert, Fragen an die Podiumsteilnehmerinnen und -teilnehmer an die E-Mail-Adresse zu schicken. Fragen wie: „Wer hat die Tafeln überhaupt in Auftrag gegeben oder gehören diese nicht eher ins Museum als in die Kirche?“ können so direkt an die Teilnehmer adressiert werden. Interessierte können somit an der Diskussion teilnehmen oder diese von zu Hause aus mitverfolgen. Machen Sie mit und stellen Ihre Fragen zum Thema „Kriegergedächtnismale in den Kirchen der Prignitz“!

 

Durch das Interview führt Museumsleiterin A. Pöpplau vom Stadt- und Regionalmuseum:

Fragen: A. Pöpplau
Kuratorin S. Müller-Pfeifruck

Podiumsdiskussion digital, 1. Interviewpaket

Antworten: Dr. Sylvia Müller-Pfeifruck, Kuratorin der Ausstellung

 

Wie ist die Ausstellung entstanden? Wie haben Sie sich den Objekten "Kriegergedächtnismale" angenähert? Wie lange haben Sie an der Ausstellung gearbeitet? 

Seit mehr als zehn Jahren erforsche ich das Thema „Kriegergedächtnismale in Kirchen“. Herr Riedel, ehem. Leiter des Perleberger Museums, und ich haben das Themenjahr von Kulturland 2020 genutzt, um unsere schon länger angedachte Idee einer Ausstellung „Kriegergedächtnismale in den Kirchen der Prignitz“ zu realisieren. Wir haben einen Antrag eingereicht und wurden ausgewählt.

 

Der von mir ausgearbeitete Antrag wurde im Frühsommer 2019 gestellt. Die Ausstellungseröffnung fand ein Jahr später am 12. Juli 2020 statt. Im November 2020 wird das Begleitbuch erscheinen.

 

Ich betrachte die Kriegergedächtnismale in den Kirchen als wichtige kulturhistorische Sachzeugnisse und versuche, ihre Botschaften zu entschlüsseln. Ich möchte mit meinen Forschungen zu einer sachlichen, kritischen Annäherung an diese schwierige Denkmalgruppe beitragen.

 

Wer hat die Gedenk-Tafeln in Auftrag gegeben? Wie teuer waren sie? Welche Botschaften und Hintergründe stecken hinter ihnen? Sind diese zwischen Auftraggeber und Angehörigen unterschiedlich? Verändern sie sich mit dem Verlauf der Geschichte? Dienen sie der Erinnerung, als Mahnmal, Glorifizierung, Propaganda? Wie ist eine Tafel aufgebaut? Spiegeln sich die politischen Hintergründe in der Gestaltung wider? Gibt es gestalterische Traditionen? In welchen Aspekten ähneln sich die Tafeln und wo gibt es Unterschiede? 

Die Kriegergedächtnistafeln wurden 1813 anlässlich der Befreiungskriege durch den preußischen König Friedrich Wilhelm III. als flächendeckendes Propagandamittel zur Motivation seiner Bürger gestiftet, ihr Leben für König und Vaterland hinzugeben. Er hat die Gestaltung und den Inhalt der Gedenktafeln für die Gefallenen genau vorgegeben und ihre Anschaffung streng kontrollieren lassen.

 

Die Gedenktafeln für die Gefallenen dienten in erster Linie der ehrenden Erinnerung an die Gefallenen zum Zwecke der Nachahmung. Sie waren nicht als Mahnmale für den Frieden gedacht, sondern zur Würdigung und letztlich Verherrlichung der Gefallenen, die so der jungen Generation als Vorbild präsentiert wurden. Und zwar im Gotteshaus, in dem jedes Gedächtnismal eine zusätzliche Auszeichnung darstellt.

 

Auf königlichen Befehl mussten alle Gemeinden, die ehrenvoll Gefallene zu beklagen hatten, auf eigene Kosten Gedenktafeln herstellen lassen und in ihren Kirchen an einer Hauptwand feierlich aufhängen. Manche Gemeinden weigerten sich aus Kostengründen. Sie wurden durch die Behörden gezwungen, Tafeln anzuschaffen. Damals waren Kirchengemeinde und politische Gemeinde noch weitgehend eins.

 

In der Prignitz dürfte 1823 in jeder Kirche, die ehrenvoll Gefallene zu beklagen hatte, eine Tafel gehangen haben. Viele der erhaltenen Tafeln folgen in ihrer Gestaltung den königlichen Vorgaben. Es gibt auch Tafeln, die davon etwas abweichen. Vermutlich sind sie schon vor Herausgabe des königlichen Musterentwurfs von 1816 angeschafft worden, der der Vereinheitlichung dienen sollte. Oder sie wurden zu späteren Jubiläen neu gefasst.

 

Außer den Gedenktafeln stiftete Friedrich Wilhelm III. auch Denkmünzen für die Teilnehmer an den Kriegen. Sie waren nach dem Tod der Veteranen in den Kirchen aufzubewahren, um so die Krieger symbolisch wieder zu vereinen.

 

1873 stiftete Kaiser Wilhelm I. nach dem Vorbild von 1813-15 auch Gedenktafeln für die Gefallenen der Reichseinigungskriege 1864, 1866 und 1870/71. Kaiser Wilhelm II. hat keine Gedenktafeln mehr für 1914 bis 1918 gestiftet. Sie waren inzwischen aber zum Selbstläufer geworden. Es waren nun die Kirchengemeinden selbst, die von sich aus kollektiven Tafeln für ihre Gefallenen anschafften. Ob nur Mitglieder der Kirchengemeinden auf den Tafeln erfasst sind, ist noch nicht untersucht.

 

Es dominierten weiterhin hochrechteckige Tafeln aus Holz mit Farbfassung. Die Aufschriften bestehen aus der Widmung, der Namensliste und mitunter einem Spruch. Tendenziell werden Widmungen und Namenslisten nationalistischer und militaristischer. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg fällt die frühere Geschlossenheit bei den Widmungen entsprechend der zerrissenen politischen Lage auseinander. Vaterland und Heldentod sind die am häufigsten vorkommenden Begriffe.

Nach 1945 wurde das Vorbild der alten Gedenktafeln wieder aufgegriffen. Es gibt im Allgemeinen keine nationalistischen und militaristischen Aussagen mehr. Es müsste jedoch für jeden Ort speziell untersucht werden, ob dies einen Gesinnungswechsel widerspiegelt oder lediglich ein Ergebnis des Verbots durch den Alliierten Kontrollrat von 1946 war. Sehr viele Kirchengemeinden in der Prignitz äußerten nämlich in den 1950er Jahren den Wunsch nach „Kriegerehrungen“. Meist wurde wieder die tradierte Form der Tafel gewählt. Namentlich aufgeführt sind erneut fast ausschließlich gefallene oder vermisste Soldaten. Auffällig ist, dass es nun erstmals christlichen Dekor gibt. Insgesamt bleibt man jedoch in der alten Tradition stecken.

 

Neben den Gedenktafeln hat es auch andere Formen von Gedächtnismalen gegeben: Glasfenster, Leuchter u.a. Nach 1945 bis Anfang 1960er Jahre finden sich in etlichen Kirchen Ensemble, die durch ihre künstlerische Qualität auffallen. In ihrer Aussage knüpfen sie vielfach an Gedächtnismale für den Ersten Weltkrieg an. Die Kirchengemeinden wurden in Fragen Kriegerehrungen vom Kirchenbaurat Wendland beraten. Wendland war ein ehemaliger strammer Parteigenosse, der in seinen Büchern die christliche Kunst als Teil der nationalsozialistischen Kunst betrachtete. Die Würdigung der Gefallenen des „großen, deutschen Freiheitskampfes“ nach dem Zweiten Weltkrieg empfand er als vornehmliche, kirchliche Aufgabe. Vielfach arbeitete er nach 1945 beim Entwurf von Kriegerehrungen mit Pfarrern zusammen, die ebenfalls eine NS-Vergangenheit besaßen.

 

Zwischen Mitte der 1960er Jahre und 1990 sind nur noch vereinzelt Gedächtnismale für den Zweiten Weltkrieg in den Kirchen entstanden. Hierin spiegelt sich wohl die Friedenspolitik der DDR wie auch die christlichen Bewegungen „Frieden schaffen ohne Waffen“ und „Schwerter zu Pflugscharen“.

 

Seit 1990 sind wieder mehr als 16 Gedächtnismale neu entstanden. Vereinzelt finden sich wieder nationalistische Töne. Das Eiserne Kreuz taucht mitunter wieder als Dekor auf. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, knüpft man an die Tradition der alten Gedenktafeln an. Nur ausnahmsweise finden sich Tafeln, die aller Opfer gedenken und auf die Aufzählung von Namen verzichten.

 

Anhand welcher Kriterien haben Sie die Tafeln, die in der Ausstellung zu sehen sind, ausgewählt? Wie haben Sie sie vor Ort in den Kirchen vorgefunden? Wer hat Ihnen die Türen geöffnet? Warum hängen die Tafeln in den Kirchen? Warum nicht in kommunalen Verwaltungen? 

In der Ausstellung wird die Entwicklungsgeschichte der Kriegergedächtnismale in Kirchen des Landes Brandenburg am Beispiel der Prignitz vorgestellt. Ich habe daher versucht, für jeden Krieg repräsentative Objekte auszuwählen.

 

Die Tafeln habe ich in den Kirchen entweder an den Wänden hängend vorgefunden oder in einer Ecke abgestellt. Die Kirchen wurden mir nach Absprache freundlicherweise von Mitgliedern der Kirchengemeinden geöffnet.

 

Die Tafeln wurden 1813 vom König gestiftet mit der Auflage, sie in die Kirchen zu hängen, um so die Einheit von Thron und Altar zu veranschaulichen. An dieser Tradition hält man oft unkritisch bis heute fest. In welchem Verhältnis diese Tafeln zu den Kriegerdenkmälern im öffentlichen Raum stehen, ist noch ebenso wenig untersucht wie das Verhältnis zu staatlichen Denkmälern.

 

Vita

Sylvia Müller-Pfeifruck studierte Klassische Archäologie und Kunstgeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. 1990 promovierte sie ebenda zu mittelalterlicher Glasmalerei. Seitdem arbeitet sie freiberuflich als Bau- und Kunsthistorikerin in Berlin und Brandenburg. Durch zahlreiche Ausstellungen, Publikationen und Vorträge insbesondere zu den Denkmälern des Totenkronenbrauchs hat sie sich bundesweit einen Namen gemacht. Das Stadt- und Regionalmuseum Perleberg zeigte 2017 ihre Wanderausstellung "Totenkronen für Himmelskinder". Ihre neue Ausstellung „Kriegergedächtnismale in den Kirchen der Prignitz. Kontinuität oder Wandel nach 1945?“ stellt diese Denkmalgruppe erstmals exemplarisch einer breiteren Öffentlichkeit vor.


Pfarrerin Verena Mittermaier

Podiumsdiskussion digital, 2. Interviewpaket

Antworten: Verena Mittermaier, Pfarrerin ev. Kirchengemeine Perleberg

 

Sie haben bei der Ausstellungseröffnung im Juli in Ihrem Grußwort gesagt, dass die Tafeln „Teil einer unbequemen Vergangenheit“ sind. Können Sie dies noch einmal erläutern? 

Die Kriegergedächtnismale gehören für mich zum eher problematischen Erbe meiner kirchlichen „Altvorderen“. Warum? Weil die Kriegergedächtnismale und viele andere interessante Exponate dieser Ausstellung eine Kirche zeigen, die über lange Zeit ein verlängerter Arm der Obrigkeit war (in den Ausführungen von Dr. Sylvia Müller-Pfeifruck zur Entstehungsgeschichte wird es deutlich):

  • Gedächtnistafeln, die auf kaiserlichen Befehl in jeder Kirche anzubringen waren;
  • Münzen und eiserne Kreuze als Motivationsschübe für künftige Soldaten;
  • Kriegsgebete, per Dekret im Gottesdienst zu verlesen.

 

Warum musste die Kirche für all das herhalten?

Offenbar wurde damals in weiten Teilen der Kirche kein Widerspruch zwischen solcher Kriegsverherrlichung und der biblischen Botschaft empfunden.

 

Da musste erst ein verheerender II. Weltkrieg die halbe Welt in Trümmer legen, bis der Weltkirchenrat in seiner ersten Vollversammlung 1948 in Amsterdam klar formulierte: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“.

Und selbst dann waren die alten Muster noch lange nicht passé. Auch das erhellt die Ausstellung „Kriegergedächtnismale in den Kirchen der Prignitz“. Eher Kontinuität als Wandel ist in der Gedenkkultur nach 1945 zu beobachten. Die Heroisierung von Gefallenen setzte sich noch lange fort anstelle einer differenzierten Betrachtung von Tätern und Opfern. Unrecht als Unrecht zu benennen, daran fehlte es viel zu lang in der Gedenkkultur.

 

Trotzdem gehören diese Kriegergedächtnismale zu unserem Erbe und können uns heutige Zeitgenossen, wenn wir uns aktiv mit ihnen auseinandersetzen, bereichern. Sie machen Geschichte sichtbar. Sie erzählen etwas über die Prägung einzelner Gemeinden und Kirchen. Sie tradieren Namen, Familiengeschichten und Dorfentwicklungen. Sie fordern dazu heraus, dass wir die kriegerische Seite der Geschichte in den Blick nehmen und auch unsere eigene Haltung zum Krieg klären. Nicht zuletzt werfen die Tafeln die Frage auf: Wie werden wir dem gerecht, was uns in unserer Zeit herausfordert? Über welche Erbschaften, die wir hinterlassen, werden die Generationen nach uns wohl den Kopf schütteln?

 

Hat das Totengedenken heute noch eine Rolle im Kirchenjahr? Wie erfolgt das Gedenken heute? 

In der evangelischen Kirche halten wir Fürbitte in jedem Gottesdienst, der auf die Bestattung eines verstorbenen Gemeindemitglieds folgt. Das Gedenken an die verstorbene Person, aber auch die Bitte um Trost und Beistand für die Angehörigen haben hier ihren Ort. Oftmals wird eine spezielle „Sterbekerze“ im Kirchenraum zu diesem Anlass entzündet. Seinen besonderen Platz innerhalb des Kirchenjahres hat das Totengedenken am letzten Sonntag vor dem Advent, dem Ewigkeitssonntag (auch Totensonntag genannt). In vielen Gemeinden werden an diesem Tag im November die Namen der verstorbenen Gemeindeglieder genannt und Kerzen zu ihrem Gedenken entzündet. Häufig finden am selben Tag auch auf den Friedhöfen Andachten statt. Biblische oder literarische Lesungen thematisieren Abschied, Trauer und Auferstehungshoffnung; Musik erklingt über den Friedhof. Viele Menschen suchen an diesem Tag die Gräber ihrer Angehörigen auf und sind in Gedanken nah bei ihren verstorbenen Lieben.

 

Wie gedenkt die Kirche heute Bundeswehrsoldaten? Spielt sie heute noch eine Rolle in der Kriegsgedenkfürsorge? 

Durch den Staats-Kirchenvertrag zur Militärseelsorge von 1957 hat die Evangelische Kirche eine klar umschriebene Rolle im Bereich Militär. Die Militärseelsorge findet im Auftrag und unter Aufsicht der Kirchen statt, der Staat stellt die dafür nötige organisatorische Struktur zur Verfügung. Häufig sind die Militärpfarrerinnen und -pfarrer bei Soldateneinsätzen vor Ort. Sie sind an Kriseninterventionen beteiligt oder leisten bei Todesfällen erste Trauerbewältigungsarbeit. Ihnen obliegt es oftmals, Todesnachrichten an Angehörige zu überbringen.

 

Aussegnungen, Beerdigungen und Abschiedszeremonien von gestorbenen Soldatinnen oder Soldaten werden häufig von Militärseelsorgern gestaltet. Das Totengedenken lädt zur Besinnung auf das große Geschenk des Lebens ein: „Memento mori - Herr, lehre mich bedenken, dass ich sterben muss...". Im Bewusstsein, dass der Tod von Soldaten häufig aufgewühlte Seelen und zahlreiche Fragen hinterlässt, begleiten die Seelsorgenden auch trauernde Angehörige oder übernehmen die Bearbeitung posttraumatischer Einsatzbelastungsstörungen, wenn Soldaten den Tod von Kameraden miterlebten.

 

Gedenkveranstaltungen für Kriegstote, etwa am Volkstrauertag, werden vielerorts von den Kommunen in Kooperation mit Vertretern der Militärseelsorge durchgeführt. Neben den Soldatengräbern als solchen gibt es in Brandenburg besondere Orte wie die Gedenkstätte in Halbe oder neuerdings den 2014 eingeweihten „Wald der Erinnerung“ im Einsatzführungskommando in Geltow. Zu den Trauerorten gehören aber auch Gedenksteine und -tafeln in den Einsatzländern der Bundeswehr. (Für seine interessanten Erläuterungen zu diesem Arbeitsfeld danke ich herzlich Militärpfarrer Matthias Spikermann aus Potsdam.)

 

Vita

Verena Mittermaier ist seit 2016 Gemeindepfarrerin in der Evangelischen Kirchengemeinde Perleberg. Die gebürtige Nürtingerin studierte evangelische Theologie in Marburg, Sao Leopoldo/Brasilien und Berlin. Von 2001-2011 war sie in Berlin als Diplomtheologin in der Bildungs- und Menschenrechtsarbeit tätig, bevor sie ihr Gemeindevikariat in Berlin-Köpenick absolvierte und dann ein Sonderpfarramt im Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz übernahm.


Redaktion die Kirche | Friederike Höhn, Chefredakteurin der Zeitung „die Kirche. Evangelische Wochenzeitung für Berlin, Brandenburg und die schlesische Oberlausitz“

Podiumsdiskussion digital, 3. Interviewpaket

Antworten: Friederike Höhn, Redakteurin „die Kirche. Evangelische Wochenzeitung für Berlin, Brandenburg und die schlesische Oberlausitz“, Berlin)

 

Was kann man sich unter dem Studium „Militärsoziologie“ vorstellen?

Der Studiengang „Military Studies“ setzte sich aus Geschichtswissenschaften und Sozialwissenschaften zusammen, wobei die meisten Studierenden einen Schwerpunkt hatten – ich kam aus der Kulturgeschichte. Militärsoziologie beschäftigt sich mit dem Beziehungsverhältnis von Militär, Staat und Gesellschaft. Wir haben zum Beispiel in Seminaren hinterfragt, in welchen politischen und gesellschaftlichen Rahmen Militär agiert – und das auch in historischer Perspektive. Auch ethische Fragen wie etwa Kriegsdienstverweigerung, Drohnenkriegsführung oder Desertation waren Inhalte des Studiums. Oder eben die Frage, wie Staaten und Gesellschaften sich an Kriege erinnern und in welchen Medien sich das widerspiegelt, etwa in Literatur, Friedhöfen oder eben Denkmalen.

 

Wie sind Sie als Militärhistorikerin Redakteurin einer evangelischen Zeitung geworden?

Über eine Stellenanzeige! Ich habe während meines Studiums und danach als Redakteurin gearbeitet, etwa bei der „Militärgeschichte“, der historischen Bildungszeitschrift für Angehörige der Bundeswehr. Nach meinem Abschluss habe ich mich dann bei „die Kirche“ beworben, was mir als Protestantin natürlich nicht so fern lag. Die Themen sind selbstverständliche andere, aber auch hier geht es oft darum: Wie stehen Menschen der Institution „Kirche“ gegenüber? Wie gehen institutionelles Denken und Glauben miteinander und wo hakt es mitunter? Das ist soziologisch durchaus interessant – obwohl ich mich immer als Historikerin verstehen würde.

 

Das fünfte Gebot lautet „Du sollst nicht töten“. Sind Kirchen der richtige Ort für Kriegergedächtnismale?

Heute sicherlich nicht mehr. Auch das Militär ist pluralistischer geworden, wenngleich immer noch mit vergleichsweise hohem Anteil an christlich sozialisierten Soldat*innen, insbesondere im Offizierskorps. Es gibt mehr und mehr muslimische Soldat*innen und natürlich viele, die mit Religion überhaupt nichts anfangen können. Da wäre ein Denkmal in einer Kirche nicht das Richtige, das hätte auch einen übergriffigen Touch.

 

Für die Zeit, in der die meisten Kriegerdenkmale in Kirchen entstanden sind, das 19. und frühe 20. Jahrhundert waren – im damaligen Denken – Kirchen sicherlich der richtige Ort. Denn sie waren über ihre Funktion als Gotteshaus gerade auf dem Dorf der zentrale Versammlungsraum und Ort der Vergemeinschaftung. Dort trafen sich Menschen, dort kam man zusammen, um Informationen auszutauschen, sich gemeinsam zu freuen, aber auch um zu trauern und sich an diejenigen zu erinnern, die nicht mehr da sind. Zudem waren fast alle Menschen Mitglied einer der beiden großen christlichen Kirchen, die Gesellschaft auch in ihren Moralvorstellungen und Lebenskonzepten von der christlichen Lehre geprägt. Preußische Soldaten gingen mit der Losung „Gott mit uns“ in den Krieg, ein Zitat aus Psalm 46. Nach dem Tod wollten sie sich bei Gott wissen – und da ist ein Erinnerungsmal für sie im kirchlichen Raum durchaus plausibel.

 

„Frieden will gewappnet sein?“ Gibt es Ihrer Ansicht nach Militär-freie Gesellschaftsformen, die funktionieren?

Militär, so wie wir das heute verstehen, ist eine Konstruktion, die das Machtmonopol eines Staates – das dieser per definitionem innehat – exekutiv nach außen und in dessen Sinne ausübt. Daher sind in jedem Fall Gesellschaftsformen denkbar, die dieses Machtmonopol in andere Formen gießen. Dystopisch gedacht bräuchte es etwa in einem totalen Überwachungsstaat keine Polizei mehr, keine exekutive Macht im Inneren. Friedensutopien mit einer Welt ohne zwischenstaatliche Konflikte machen militärische Macht obsolet.

 

Aktuell gibt es eine Handvoll Staaten, die nicht über ein eigenes Militär verfügen, sondern allein über Polizei. Jedoch sind es meist Kleinststaaten, die mit dem Unterhalt einer eigenen Armee überfordert wären und sich daher einer ausländischen Schutzmacht unterstellt haben. Also ja, offenbar funktioniert es auch ohne eigene Streitkräfte – auf Kosten der eigenen Unabhängigkeit. So wünschenswert das Modell militärfreie Gesellschaft wäre, so pessimistisch blicke ich leider in die Zukunft: Die sich anbahnenden Ressourcenkonflikte um Wasser, bewohnbares Land und Nahrung werden wohl leider zu eher mehr als weniger kriegerisch ausgetragenen Konflikten führen.

 

Vita

Friederike Höhn ist als stellvertretende Chefredakteurin der Zeitung „die Kirche. Evangelische Wochenzeitung für Berlin, Brandenburg und die schlesische Oberlausitz“ (Wichern-Verlag GmbH) tätig. Zu Ihren Aufgaben gehören die Bereiche Regional, Fokus, Leserbriefe, Nachrufe, Menschen, Vermischtes, Junge Kirche und allgemeine Anfragen.

Schon während ihres Studiums der Militärgeschichte/Militärsoziologie in Potsdam (M.A.) arbeitete sie als Redakteurin für das Geschichtsportal Clio-online der Humboldt-Universität, die „Militärgeschichte. Zeitschrift für historische Bildung“ und das Editionsprojekt „Der Bundestagsausschuss für Verteidigung“. Neben der Geschichte interessiert sie sich für historische Friedhöfe, Stricken und nachhaltiges Leben.


 

Podiumsdiskussion digital, 4. Interviewpaket

Antworten: Dr. Sylvia Müller-Pfeifruck, Kuratorin der Ausstellung

 

„Während 98 Prozent der Menschheitsgeschichte gab es keine Kriege! Erst jüngere Forschungen brachten es an den Tag: `Das Zeitalter des Schreckens´ begann nach zwei Millionen Jahren des Friedens erst vor 5500 Jahren mit dem Patriarchat am Beginn der Bronzezeit.“ Sie zeigen in der Ausstellung dieses Zitat der Psychologin und Autorin Doris Wolf, in dem das Patriarchat als Gesellschaftsform für die Kriege verantwortlich gemacht wird.  Waren bzw. sind matriarchale Gesellschaften frei von Krieg? Wie sähen die Tafeln aus, wenn Frauen sie entworfen hätten? Hätten Sie auf den Tafeln die Schuldfrage thematisiert? Wie soll modernes Gefallenengedenken aussehen? Was empfehlen Sie bei dem weiteren Umgang mit den Kriegergedächtnistafeln?

 

Forschungen zufolge gibt es Kriege erst, seit der Mann als Geschlecht die Herrschaft an sich gerissen hat. Das ist vor etwa 6.000 Jahren geschehen. Davor lebten die Menschen ca. 2 Millionen Jahre in klassenlosen, gleichberechtigten Gemeinschaften und in Frieden. Noch heute ist in sogenannten matriarchalen Gesellschaften jede Form der Aggression und körperlichen Gewalt verpönt. Frauen bringen als Mütter mit ihren Kindern Leben auf die Welt und sorgen sich um dessen Erhalt. Sie haben als Geschlecht keinerlei Interesse an der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen und der Vernichtung ihrer Kinder.

 

Gedenktafeln für Krieger sind patriarchale Kulturerzeugnisse. Tatsächlich werden auch fast ausschließlich Männer auf ihnen geehrt. Ich glaube, Frauen brauchen keine Denkmäler. Und wenn, dann wären es sicher keine gewaltverherrlichenden. Dass Frauen im Patriarchat aus Gründen der Anpassung weltanschaulich und ideologisch oft dem folgen, was die männlich geprägte Gesellschaft vorgibt, und daher wohl auch am Zustandekommen von Kriegerdenkmälern mitgewirkt haben, ist eine andere Frage.

 

Es gibt einige wenige Gedächtnismale in den Kirchen der Prignitz und auch in andern Kirchen, die an alle Opfer von Kriegen und Gewalt erinnern sowie zum Frieden mahnen. Nur selten findet sich ein Bekenntnis zur eigenen Mitschuld. Vorbildlich geworden ist dabei das Mahnmal von 1960/61 in der Johanneskirche in Berlin-Schlachtensee.

 

Ich weiß nicht, wie ein zeitgemäßes Gedächtnismal aussehen müsste. Auf keinen Fall jedoch sollte es allein die unkommentierten Namen von Gefallenen aufführen. In der Friedrichskirche in Potsdam-Babelsberg wurden in den 1970/80er Jahren die alten Kriegertafeln aus dem Kirchenraum entfernt. Man trug sich mit dem Plan, stattdessen zu Mahnung eine Mutter mit Kind aufzustellen. Leider wurde das Projekt nicht umgesetzt. Es erinnerte wohl zu sehr an die katholische Muttergottes Maria mit ihrem Sohn. Die Idee, so zum Frieden zu mahnen, finde ich gut. Denn zu den Hauptleidtragenden von Kriegen gehörten Frauen und Kinder, an die in den evangelischen Kirchen nicht erinnert wird.

 

In vielen Kirchen gibt es noch alte, patriarchale Kriegergedächtnismale. Sie sind wichtige kulturhistorische und genealogische Quellen, die immer wieder auch die Auseinandersetzung über das Thema Krieg und Frieden provozieren. Sie zeugen von schrecklichen Kapiteln in unserer Geschichte mit unvorstellbaren Menschenopfern und sind daher erhaltenswert. Ich würde mir jedoch einen offenen, kritischen Umgang mit ihnen wünschen. Wenn wir aus der Geschichte lernen wollen, müssen wir uns der Vergangenheit vorbehaltlos stellen. Dazu wäre es zum Beispiel unerlässlich, die Biografien der Männer, die auf den Tafeln der Nachwelt überliefert sind, aufzuarbeiten. Sie waren durchaus Opfer der grausamen patriarchalen Kriege, die immer nur Wenigen Nutzen gebracht haben. Aber sie waren – graduell verschieden – eben auch Täter und Mitläufer. Das muss deutlich herausgearbeitet werden. In der Prignitz hatten rund 50 Prozent Adolf Hitler und damit ihren Schlächter selbst gewählt.


 

Podiumsdiskussion digital, 5. Interviewpaket

Antworten: Verena Mittermaier, Pfarrerin ev. Kirchengemeine Perleberg

 

Wie soll Ihrer Meinung nach mit den Tafeln weiter umgegangen werden? 

Aufschlussreich finde ich die Pinnwand im Museum, auf der Ausstellungsgäste ihre Meinung zu der Frage äußern, ob die Kriegergedächtnismale in den Kirchen hängen bleiben sollen. Zwei O-Töne: „Ja, unbedingt – alles ist Bildung“; „Auf keinen Fall – dokumentieren, abhängen, ins Museum hängen, dort erläutern und einordnen“. Die Tafeln sind umstritten. Und offenbar gingen bereits Generationen von Gemeindeverantwortlichen unterschiedlich mit ihnen um. Nach der Lektüre der Ausstellung erstaunt es im Grunde, wie viele Tafeln bis heute hängen, legte doch der alliierte Kontrollrat am 13.5.1946 die „Beseitigung deutscher Denkmäler und Museen militärischen und nationalsozialistischen Charakters“ fest. Unzulässig seine Symbole wie das Eiserne Kreuz, Waffen und Adler sowie Formulierungen wie „Unseren gefallenen Helden“, „Es starben den Heldentod…“ oder „für Kaiser und Reich“.

 

Viele Pfarrkollegen hielten, spätestens seit der Friedensbewegung der 1980er Jahre, die Gedenktafeln aufgrund ihrer kriegsverherrlichenden Tendenz in den Kirchengebäuden für nicht länger vertretbar. In unserer Perleberger Gemeinde wurde mir erzählt, dass eine Holztafel jahrelang draußen im Regen stand, bis sie schließlich „entsorgt“ worden sein muss. Ich ahne, was meine Amtsvorgänger dazu bewog, die Tafel aus der Kirche zu verbannen, stimme heute aber der Besuchermeinung zu: Unbedingt aufbewahren, alles ist Bildung. Allerdings dürfen solche Zeugnisse einer vergangenen Epoche und überkommenen Weltsicht nicht unkommentiert bleiben. Ihre Wirkmächtigkeit setzt sich ja fort, wie Prof. Rogg zu Recht anmerkt. Umso mehr ist für die heutige Rezeption eine geschichtliche Einordnung, womöglich auch eine explizite inhaltliche Distanzierung vonnöten.

 

Wäre eine wissenschaftliche Erörterung der Tafeln von Experten nötig und möglich, beispielsweise mithilfe von Beschriftungen oder Informationsflyern? 

Ja, das halte ich für den richtigen Weg. Um Geschichtsverständnis auch bei jüngeren Menschen zu wecken, bedarf es ja gerade der Differenzierung und der Beleuchtung von Hintergründen, während die vereinfachenden Slogans der Tafeln (übrigens auch neuerer und neuster Tafeln, die etwa pauschal den „Opfern von Krieg, Diktatur und Gewalt“ gewidmet sind), Zusammenhänge eher verschleiern als erhellen. Anregend finde ich in diesem Zusammenhang auch den Vorschlag von Frau Dr. Müller-Pfeifruck, die Biographien der auf den Tafeln genannten Personen genauer unter die Lupe zu nehmen.

 

Gibt es eine Übersicht, in der alle Prignitzer Tafeln aufgeführt werden, in welcher Kirche sie sich befinden und wie ihr Zustand ist? 

Von einer offiziellen Übersicht über alle Prignitzer Gedächtnistafeln ist mir nichts bekannt. Vielleicht tragen die Recherchen zur Sonderausstellung dazu bei, hier eine Lücke zu schließen? Zu finden ist im Internet eine private Website aus dem Ahnenforschungsbereich, die viele Informationen zusammenträgt (Link zur Webseite: http://www.denkmalprojekt.org/covers_de/d_brand.htm#Prignitz).

 

Gibt es ein Etat, mit dem die Tafeln restauriert werden können? 

Einen zentralen Etat für alle Tafeln gibt es nicht. Die bauliche Instandhaltung der Kirchen, zu denen die Tafeln gehören, obliegt der jeweiligen Körperschaft.

 

Wie gedenkt die Kirche heute Bundeswehrsoldaten? Spielt sie heute noch eine Rolle in der Kriegsgedenkfürsorge? 

Durch den Staats-Kirchenvertrag zur Militärseelsorge von 1957 hat die Evangelische Kirche eine klar umschriebene Rolle im Bereich Militär. Die Militärseelsorge findet im Auftrag und unter Aufsicht der Kirchen statt, der Staat stellt die dafür nötige organisatorische Struktur zur Verfügung. Häufig sind die Militärpfarrerinnen und -pfarrer bei Soldateneinsätzen vor Ort. Sie sind an Kriseninterventionen beteiligt oder leisten bei Todesfällen erste Trauerbewältigungsarbeit. Ihnen obliegt es oftmals, Todesnachrichten an Angehörige zu überbringen.

 

Aussegnungen, Beerdigungen und Abschiedszeremonien von gestorbenen Soldatinnen oder Soldaten werden häufig von Militärseelsorgern gestaltet. Das Totengedenken lädt zur Besinnung auf das große Geschenk des Lebens ein: „Memento mori - Herr, lehre mich bedenken, dass ich sterben muss...". Im Bewusstsein, dass der Tod von Soldaten häufig aufgewühlte Seelen und zahlreiche Fragen hinterlässt, begleiten die Seelsorgenden auch trauernde Angehörige oder übernehmen die Bearbeitung posttraumatischer Einsatzbelastungsstörungen, wenn Soldaten den Tod von Kameraden miterlebten.

 

Gedenkveranstaltungen für Kriegstote, etwa am Volkstrauertag, werden vielerorts von den Kommunen in Kooperation mit Vertretern der Militärseelsorge durchgeführt. Neben den Soldatengräbern als solchen gibt es in Brandenburg besondere Orte wie die Gedenkstätte in Halbe oder neuerdings den 2014 eingeweihten „Wald der Erinnerung“ im Einsatzführungskommando in Geltow. Zu den Trauerorten gehören aber auch Gedenksteine und -tafeln in den Einsatzländern der Bundeswehr. (Für seine interessanten Erläuterungen zu diesem Arbeitsfeld danke ich herzlich Militärpfarrer Matthias Spikermann aus Potsdam.)


 

Foto: Oberst i.G. Prof. Dr. phil. habil. Matthias Rogg

Podiumsdiskussion digital, 6. Interviewpaket

Antworten: Oberst i.G. Prof. Dr. phil. habil. Matthias Rogg, Vorstand German Institute for Defence and Strategic Studies

 

Weiß das GIDs und die Bundeswehr um diese Tafeln? 

Das German Institute for Defence and Strategic Studies (GIDS) und ich persönlich sind erst durch die Anfrage der Veranstalter auf das Ausstellungsprojekt und die Tafeln aufmerksam gemacht worden. Ob die Tafeln oder das Projekt darüber hinaus in der Bundeswehr bekannt sind kann ich nicht sagen.  

 

Werden angehende Bundeswehrangehörige mit den Tafeln konfrontiert? 

Politische und historische Bildung spielen in der Bundeswehr eine große Rolle. Regionale Bezüge, zum Beispiel der Besuch von historischen Erinnerungsorten, Gedenkstätten oder Museen, werden dabei gerne genutzt. Die Verantwortung für die historische und politische Bildung liegt bei den jeweiligen Kommandeuren/ Dienststellenleitern und Einheitsführern in ihrem Verantwortungsbereich. Ob die Tafeln in Perleberg bei den Verantwortlichen ins Blickfeld gerückt sind, entzieht sich meiner Kenntnis.

 

„Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin. Dann kommt der Krieg zu dir“ Glauben Sie, dass eine militärfreie Gesellschaft funktionieren würde? 

„Stell Dir vor es ist Krieg ...“ wird immer gerne herangezogen, um die irrationale Logik des Krieges und seiner Protagonisten zu begründen. Allein die Geschichte dieses Zitats zeigt, dass die dahinter stehende Wirklichkeit oft viel komplizierter ist und man sich immer um Kontextualisierung bemühen muß. Das Zitat wird fälschlicherweise bis heute von vielen Berthold Brecht zugeschrieben und gerne erweitert „... dann kommt der Krieg zu Dir.“ Tatsächlich geht es auf den US-amerikanischen Lyriker Carl Sandburg zurück und stammt aus einem seiner Gedichte in dem es heißt „Sometime they'll give a war and nobody will come". Carl Sandburg zählt nicht nur zu den großen amerikanischen Literaten des 20. Jahrhunderts. Er ist auch Autor einer bis heute wichtigen Biographie über Abraham Lincoln (für die er den Pulizer Preis erhielt) und er schrieb das Drehbuch zum preisgekrönten Dokumentarfilm „Bomber“ (1941), der die Produktion von Bomberflugzeugen im Zweiten Weltkrieg zum Inhalt hatte. Carl Sandburg war ein vielseitig gebildeter Dichter und Historiker - aber er war kein Pazifist. Der hier nur kurz aufscheinende Kontext macht deutlich, dass man das Zitat „Stell Dir vor es ist Krieg ...“ in einen größeren Zusammenhang stellen muß. Das gilt einmal mehr bei der grundsätzlichen Verortung von Militär in Staat und Gesellschaft geht. Die radikalpazifistische Idee einer befriedeten Welt, in der sich jeder vor der Anwendung von Gewalt versagt hat als Vision eine große und wichtige Bedeutung. Aber gerade wenn es um etwas so Wichtiges wie staatliche Sicherheit und Souveränität geht verlangen die Menschen nicht nach Experimenten, sondern verantwortlichem und das heißt auch verlässlichem Handeln.

 

Das Ideal einer friedlichen Welt ist auch mein Ideal: als Staatsbürger, als Soldat und als Christ, der mit seiner Ethik tief in der evangelischen Kirche verwurzelt ist. Eine friedliche Welt wird aber nur durch eine gerechtere Welt erreicht. Frieden und Gerechtigkeit sind komplementär. Eine gerechtere Welt setzt aber eine Recht setzende Welt voraus. Recht kann natürlich weit entfernt sein von Gerechtigkeit, aber ohne Rechtssetzung kann ich mir den Weg zu einer gerechteren Welt nicht vorstellen. Rechtssetzung braucht schließlich Rechtsschutz: im zivilen Alltag in der Prignitz genauso wie zur Durchsetzung einer regelbasierten Ordnung in der Welt. Für diesen Rechtsschutz brauchen wir Institutionen: eine nationale und internationale verlässliche Rechtsordnung, ein verbindliches Völkerrecht und Institutionen, um das Recht zu schützen und es durchzusetzen, angefangen bei Staatsanwaltschaften über Polizeien bis zum Militär. „Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin“ - diesen Traum möchte ich nicht aufgeben. Aber mein Tun in dieser Welt ist erst einmal von verantwortlichem Handeln bestimmt, nicht nur für mich, sondern auch für meine Mitmenschen und die Gesellschaft in der ich lebe. Eine einseitig militärfreie Gesellschaft würde nicht ein Mehr an Frieden, dafür aber ein Mehr an Instabilität, Unfrieden und Unfreiheit bewirken. Die Geschichte der Gewalt, mit der ich mich seit Jahrzehnten wissenschaftlich beschäftige, lehrt uns diese Logik. Der erste Schritt zu verantwortlichem Handeln für eine friedlichere Welt, ist ein Stärken der freiheitlichen Rechtsordnung in deren Mittelpunkt die unveräußerlichen Menschenrechte stehen, eine kluge Politik, die mehr auf Verständigung als auf Konfrontation setzt und die sich von nationalen Egoismen frei macht. Ein solcher Gesellschaftsentwurf wird auf Streitkräfte nicht verzichten können - und Streitkräfte mag ich mir umgekehrt nur denken, wenn sie fest in einem rechtsstaatlichen Gefüge verankert sind. Das ist kein utopischer, sondern ein realistischer und verantwortlicher Weg zu einer gerechteren und friedlicheren Welt.

 

Wäre es im Interesse der Bundeswehr, eine Patenschaft dafür übernehmen? 

Ich kann nicht für die Bundeswehr als Ganzes sprechen und, wie bereits gesagt, sind es die Kommandeure/ Dienststellenleiter und Einheitsführern vor Ort die für die historische und politische Bildung verantwortlich sind. Patenschaften pflegt die Bundeswehr vor allem mit Kommunen und das oft über viele Jahrzehnte und in wechselseitiger Wertschätzung. Dazu können auch gemeinsame Veranstaltungen an Gedenkorten zählen. Ob die zur Rede stehenden Tafeln dazu gehören, müssten dann die Verantwortlichen vor Ort entscheiden.

 

Wie erfolgt Gefallenengedenken heute? 

Die Bundeswehr ehrt das Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewalt, und damit nicht nur der Soldaten, jedes Jahr am Volkstrauertag. Das Motto des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge „Versöhnung über Gräbern“ und die inhaltliche Öffnung unterstreichen, dass es hier nicht um ein unreflektiertes „Heldengedenken“ geht. Unabhängig davon liegt der Schwerpunkt des Gedenkens der Bundeswehr auf denjenigen Soldaten und zivilen Mitarbeitern, die an den Folgen der Ausübung ihres Dienstes für die Bundesrepublik Deutschland ihr Leben verloren haben. Über 6000 Männer und Frauen wird namentlich am Ehrenmal der Bundeswehr, in unmittelbarer Nähe des Bundesverteidigungsministeriums in Berlin gedacht. Darüberhinaus erinnern die Streitkräfte an die Soldaten, die in den Einsätzen durch Gewalt getötet wurden, im „Wald der Erinnerungen“, der sich beim Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Geltow bei Potsdam befindet. In zahlreichen Standorten finden sich außerdem Gedenksteine oder Erinnerungstafeln an Kameradinnen und Kameraden, die im Einsatz gefallen sind oder durch Unfall ums Leben kamen. Egal ob am Ehrenmal, im Wald der Erinnerungen oder in den jeweiligen Standorten: hier ist kein Platz für Heldenverehrung sondern für Trauer und Erinnerung. Es geht darum Hinterbliebenen und Kameradinnen und Kameraden einen Ort des Gedenkens und der Trauer zu geben und zugleich daran zu erinnern, wofür wir Soldaten uns einsetzen: der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.

 

Werden die Soldaten miteinbezogen? 

Bei jedem Gedenken an verunfallte oder gefallene Soldatinnen/ Soldaten oder zivile Mitarbeiterinnen/ Mitarbeiter ist die Bundeswehr einbezogen. Für die meisten, das kann ich aus eigener Erfahrung sagen, ist das keine lästige Pflicht, sondern eine innere Verpflichtung.

 

Wie soll Ihrer Meinung nach mit den Tafeln weiter umgegangen werden? 

Die Idee die Tafeln zu präsentieren, ihre Geschichte aufzuarbeiten und sie in einen größeren historischen Zusammenhang zu stellen, finde ich ausgesprochen gut. Nicht nur in unseren Kirchen, auch an anderen öffentlichen Orten, gibt es Tafeln, Sinnsprüche oder Kunstwerke, die über Generationen unbemerkt und unreflektiert rezipiert wurden wurden. Die Wirkmächtigkeit dieser vordergründig stillen Zeugnisse wird dabei unterschätzt. Gerade wenn uns heute Sinndeutungen irritieren, oder sogar empören, sind wir aufgerufen eine Haltung einzunehmen. Das gilt für bösen Antisemitismus im kirchlichen Bauschmuck (z.B. die „Judensau“ an der Stadtkirche in Wittenberg), für Militärikonographie (z.B. in der Garnisonkirche in Potsdam, für deren Wiederaufbau ich mich seit Jahren engagiere) oder das einseitige Gedenken der Täter und gleichzeitige Verschweigen der Untat und der Opfer (z.B. die Gedenktafel an die zu Tode gekommenen deutschen Soldaten bei der Niederschlagung des Hereroaufstandes in der Christus und Garnisonskriche in Wilhelmshaven). In all diesen Fällen dürfen wir nicht vorschnell nach „Entsorgung“ rufen. Vielmehr müssen wir den historischen Kontext herstellen, erklären, positionieren und - wo nötig - uns deutlich sichtbar distanzieren. Eine „damnatio memoriae“, also eine Verdammung der Erinnerung, schafft nur neue Mythen. So verstanden können die historischen Objekte, die ursprünglich der Sinnstiftung dienten, heute zu Objekten einer Denkstiftung werden. In diesem Sinn ist Kreativität, Mut und Behutsamkeit zugleich gefordert.

 

Vita

Oberst i.G. Professor Dr. Rogg ist Leiter des GIDS Anteils an der Führungsakademie der Bundeswehr (Hamburg). Zuvor war er von 2010 bis 2017 Gründungsdirektor des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden. Überdies ist er seit 2013 Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr in Hamburg und damit erster aktiver Offizier der Bundeswehr außerhalb des Sanitätsdienstes, der eine Professur erhielt.

Im Jahr 2000 wurde Oberst i.G. Professor Rogg auf dem Deutschen Historikertag in Aachen mit dem Werner-Hahlweg-Preis ausgezeichnet. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen in den Bereichen Kultur- und Militärgeschichte, der Geschichte der DDR und in der historischen Bildung. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zur Kultur- und Geistesgeschichte.


 

Podiumsdiskussion digital, 6. Interviewpaket

Antworten: Friederike Höhn, Redakteurin „die Kirche. Evangelische Wochenzeitung für Berlin, Brandenburg und die schlesische Oberlausitz“, Berlin)

 

Wie soll Ihrer Meinung nach mit den Tafeln weiter umgegangen werden?

Die Tafeln sind Teil der Geschichte der Gemeinde, der Kirche und auch der Gesellschaft. Sie aus pazifistischen Gedanken heraus abzunehmen halte ich für falsch. Solche Denkmale sind eindrucksvolle Zeugnisse der unrühmlichen Vergangenheit und Mahnung an die Gegenwart. Als ich neulich bei einem Gottesdienst in der Berliner Immanuelkirche die fast 700 Namen umfassende Gedenktafel des Ersten Weltkriegs sah, musste ich sehr schlucken und dachte: Hat die Gemeinde heute überhaupt so viele Mitglieder, wie in fünf Jahren Krieg aus ihrer Mitte gerissen wurden?

 

Jedoch erklären sich die Tafeln für viele nicht von allein. Ihre Geschichte muss erzählt werden, in Führungen, in einem kleinen Flyer oder mit Tafeln, sodass alle verstehen können, in welchem Kontext sie entstanden sind und welche Ideen sie repräsentieren. Auch einzelne Symbole wie das Eiserne Kreuz, Eichenblätter oder Helme sollten kontextualisiert werden, damit die Tafeln auch wirklich „gelesen“ werden können.

 

Wäre der Diskurs auch für Ihre Zeitung spannend? Könnte man mit ihr und den Gemeindebriefen Mitglieder erreichen, die sich mit den Denkmalen ihrer Gemeinde auseinandersetzen?

Oh ja, das wäre eine tolle Begleitaktion zur Ausstellung gewesen! Wir haben unsere Leserinnen und Leser anlässlich des Kriegsendes 1945 aufgerufen, uns ihre Erinnerungen zuzusenden und sehr berührende Briefe erhalten. Ich würde mich sehr freuen, wenn engagierte und wissbegierige Gemeindeglieder sich mit den Tafeln in ihrer Kirche beschäftigen würden und uns als Kirchenzeitung an ihren Erkenntnissen teilhaben ließen.


 

Podiumsdiskussion digital, 7. Interviewpaket

Antworten: Dr. Sylvia Müller-Pfeifruck, Kuratorin der Ausstellung

 

Gibt es eine Tafel, die historisch oder auch kunsthistorisch besonders interessant ist? Wenn ich mich für die Tafeln interessiere, wo finde ich weitere Informationen? Was sollen die Menschen über die Ausstellung mitnehmen? Was soll von der Ausstellung bleiben?

Ich finde die qualitativ hochwertigen Ensemble-Gedächtnismale der Nachkriegszeit in den Kirchen Kunow, Glöwen und Seddin besonders interessant. Federführend war hier der Mitarbeiter des Evangelischen Konsistoriums Wendland für ihre Gestaltung und Aussage verantwortlich. Sie beeindrucken jeden Betrachter. Erst wenn man sie kritisch hinterfragt, offenbaren sich die wahren  Botschaften, die auch in den Vorkriegsüberzeugungen des Altnazis Wendland wurzeln.

 

Zur Ausstellung gibt es ein Buch. Darin findet sich ein Verzeichnis mit weiterführender Literatur. Mit den Gedächtnismalen in den Kirchen hat sich meines Wissens noch kaum jemand wissenschaftlich befasst. Mit Ausstellung und Buch wurde daher ein Stück Pionierarbeit geleistet.

 

Ausstellung und Buch möchten über die Entstehung und die Botschaften der Kriegergedächtnismale in den Kirchen aufklären. Wir betrachten diese Denkmäler heute vielfach als Mahnmale. Als solche sind sie jedoch nicht entstanden. Das muss man auseinanderhalten, wenn man Geschichtsklitterung vermeiden will. Die persönliche Betroffenheit und Trauer um einen gefallenen Angehörigen stehen dabei auf einem anderen, noch zu untersuchenden Blatt. Wenn Ausstellung und Buch zum genaueren, kritischeren Hinterfragen der Denkmäler animieren würden, wäre das ein schönes Ergebnis. Denn in den alten wie auch vielen neuen Gedächtnismalen schlummert nach wie vor das Potential zur Helden- und Kriegsverherrlichung.


 

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