Teil 5: Zeitgenössische Quelle 1
„September 1910 wechselte ich vom Kindergarten in der Nelkenstraße zur Schule in der Schweinauer Straße. Meine Laufbahn dort begann mit einem guten Omen. Zur Eingewöhnung seiner Erstklässler hielt der Lehrer eine nagelneue Einpfennigmünze hoch und ließ raten, was das für ein Geldstück wäre. Ich ließ mich durch den glänzenden Schein nicht verblüffen und erklärte laut, das Stück sei ein Pfennig, worauf der Pfennig mir in Anerkennung meines schnellen Reaktionsvermögens überreicht wurde.
Das war aber nicht das Ende der Geschichte. Die halbe Klasse wollte nach dem Ende der Schulstunde wissen, was ich für den Pfennig kaufen würde. Eine ganze Schar schloss sich mir auf dem Heimweg an, keinen Zweifel darüber lassend, dass sie sich an dem Vergnügen beteiligen wollte. An der Zahl der Mitesser gemessen, blieb nur die Möglichkeit, entweder eine Oblate zu kaufen, die es in rosa, grüner oder gelber Ausführung im Bäckerladen gab und die in ihrer Größe von fünfzehn mal zwanzig Zentimetern für einen Pfennig meine Kumpane befriedigen konnte. Da aber der Kolonialwarenladen näher war und die Schulkameraden überdies zum Kauf drängten, entschied ich mich für einen Schnürriemen aus Lakritz, der überdies bequemer zu teilen war. Am Ende zogen alle befriedigt ab.“
Kurt Karl Doberer, (geb. 1904),
in: Kindheit im Kaiserreich, Herausgegeben v. Rudolf Pörtner, Düsseldorf und Wien 1987