Teil 3: Zeitgenössische Quelle 1
„Zu meinem sechsten Geburtstag bekam ich ein kurzärmeliges Kleid aus kariertem Kattun, das ich sommers und winters – aber nur für die Schule – tragen sollte, eine ärmellose schwarze Schulschürze, hohe schwarze Knöpfstiefel und einen ledernen Schulranzen mit Fibel, Griffelkasten und Schiefertafel, an die ein Schwamm und ein Tüchlein gebunden waren, die aus dem Ranzen heraushingen.
In den ersten Tagen wurde ich nachdrücklich vor den Gefahren auf dem Schulweg gewarnt – ich dürfe nicht über unsere Brücke gehen, wenn ein Fuhrwerk darauf war, denn es kam vor, dass die Pferde durch einen in der Tiefe rollenden Eisenbahnzug scheu wurden und wild davon rasten; ich sollte den Jungen vom Eisengeschäft aus dem Weg gehen, weil sie den »affigen« Mädchen auflauerten und sie zu verhauen suchten; vor allem aber müsse ich darauf achten, von der elektrischen Straßenbahn nicht überfahren zu werden, denn sie könne nicht plötzlich bremsen oder ausweichen.
…Wir besuchten die private höhere Töchterschule, die in einem alten Gebäude untergebracht war. Sie hatte weder Zentralheizung noch Beleuchtung. In der Nähe der eisernen Öfen war es glutheiß, am Fenster fröstelte man. Wenn es morgens noch dunkel war, brannte eine Kerze auf dem Katheder. Jeweils vier Kinder saßen auf einer Bank. Wir mussten mit gefalteten Händen still sitzen und aufstehen, wenn wir dran kamen. Für die Pausen mussten wir uns in Reih und Glied aufstellen und im kiesbedeckten Schulhof im Kreise gehend unser Schulbrot essen; in den kurzen Pausen durften wir spielen, bis wir klassenweise geordnet wieder hinaufgingen.“
Quelle: Elisabeth Flitner, (geb. 1894), in: Kindheit im Kaiserreich, Rudolf Pörtner (Hg)., Düsseldorf und Wien 1987.